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Titel
Rechtsgeschichte – ein kulturhistorischer Grundriss.


Autor(en)
Senn, Marcel
Erschienen
Zürich 2007: Schulthess Juristische Medien
Anzahl Seiten
505 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Hiram Kümper, Historisches Institut GA 5 / 132, Ruhr-Universität Bochum


Der verlegerische Erfolg scheint schon einmal für sich zu sprechen: Bereits in vierter Überarbeitung ist nun Marcel Senns kulturhistorischer Grundriss zur («deutschen») Rechtsgeschichte von 1997 erschienen. Daneben liegt seit neuestem aus gleichem Verlag noch eine gekürzte Fassung vor, die sich speziell an den Bedürfnissen der Bologna-Studiengänge an den Rechtswissenschaftlichen Fakul täten orientiert. Die vierte Auflage des «Grundrisses» führt dagegen das Hauptwerk fort, das gegenüber seinen Vorgängerauflagen in der Tat noch einmal erheblich erweitert worden ist. Viele Kritikpunkte der Rezensenten älterer Auflagen sind ausgemerzt; vor allem hat das eigentlich Innovative der deutschen Rechtsgeschichte in Sennscher Lesart, die kulturhistorische Dimension, noch einmal nachdrücklich an Tiefe gewonnen.

Senn versteht Rechtsgeschichte als integralen Teil der Kulturgeschichte und steckt damit grosse Ziele: Um nicht weniger geht es als das erklärte Lernziel, «als engagierte Menschen Fragen an die entsprechende Rechtsordnung zu stellen» (S. 3). Selbst wenn mancher etwas distanzierter als der beinahe überbordende Optimismus des Verfassers dem Aufklärungspotenzial der Rechtsgeschichte gegenüber stehen mag, so kann es dem Fach nur gut tun, aus der viel beklagten und – wenn existent, dann – selbstverschuldeten Krise mit Engagement und einem konstruktiven Eigenentwurf hervorzutreten, der sich um die Anbindungsfähigkeit an andere Disziplinen und Fragestellungen Gedanken macht, statt sich mit den immer gleichen alten Argumenten hauptsächlich um das eigene Weiterbestehen im Curriculum der Juristenausbildung zu sorgen.

In dreizehn Grosskapiteln durchschreitet der Verfasser die Rechts- und Verfassungsentwicklung des römischen-deutschen Reiches und seiner Nachfolgestaaten bis in die Nachkriegszeit, wobei er auch in den Kapiteln zur Vormoderne immer wieder den Blick auf das moderne Recht zurückwirft. Das hat bei Senn nicht nur didaktisch-illustrative Funktion, sondern soll ganz im Sinne seiner ehrgeizigen Zielsetzung aktiv zum Nachdenken über Recht anleiten – mit dem Rüstzeug der Rechtshistorie. Die Kapitel bauen im Wesentlichen chronologisch aufeinander auf, setzen aber ideen- und geistesgeschichtliche Schwerpunkte, wobei gegenüber den eigentlichen Normen und Institutionen vor allem die Rechtsphilosophie und -methode – wenn man so will: die Rechtskultur – im Vordergrund steht.

Es liegt auf der Hand, dass bei einem solchen Werk jeder Rezensent Kleinigkeiten aus seinem Fachgebiet wird finden können, die er als zumindest unpräzise oder missverständlich wird bemäkeln können. Das ist hier nicht anders. Dass beispielsweise «das eigene Landrecht [des Sachsenspiegels] mit den Standards von Kirchenpraxis, Stadtverwaltung und Universitätslehre [!] konkurrieren können» solle (S. 118), scheint dem Rechtsbuch Eikes von Repgow doch bei allem Respekt vor dessen schöpferischer Leistung und trotz der neueren Ansichten Peter Landaus, die Eike in den Dunstkreis der anglonormannischen Kanonistik rücken wollen, gar zu viel Weitblick beizumessen. Das wird eigentlich erst im Rezeptionsprozess der folgenden Jahrhunderte wirklich akut.

Es wäre aber gänzlich unangebracht, aus solchen Marginalien eine grundsätzliche Kritik giessen zu wollen, denn Senns «Grundriss» ist insgesamt ausgesprochen sauber recherchiert und durchweg gründlich belegt. Mit profunder Sachkenntnis werden die grossen Entwicklungslinien nachgezeichnet und einleuchtend am historischen Material verdeutlich, wobei gerade die eingestreuten Karten und didaktisch gut überlegten Schemen zu den unbedingten Stärken des Bandes zählen. Senn zeigt sich als gelehrter Kulturhistoriker mit einem Gefühl für treffsichere Analysen langzeitlicher Entwicklungsprozesse, vor allem aber als glänzender Vermittler und – nicht zuletzt – als Überzeugungstäter. Das merkt man seinem «Grundriss» an, und das macht dieses Buch auch zu dem, was es ist: eine bereichernde Lektüre.

Zitierweise:
Hiram Kümper: Rezension zu: Marcel Senn: Rechtsgeschichte – ein kulturhistorischer Grundriss. Mit Bildern, Karten, Schemen, Registern, Biographien und Chronologie. 4., neu bearb. u. erw. Aufl. Zürich, Schulthess, 2007. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 58 Nr. 3, 2008, 200 S. 373-374.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 58 Nr. 3, 2008, 200 S. 373-374.

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